Das Ölbild

Das Ölbild

Nicht immer schon war es so einfach, sich selbstständig zu machen. Direkt nach der Wiedervereinigung mangelte es an Manchem, besonders aber geeigneten Geschäftsräumen. Nach mehreren Anläufen war es mir gelungen, von einer alteingesessenen Stendaler Kaufmannsfamilie mit mehr als 250 Jahren Firmengeschichte, geeignete Räumlichkeiten zu mieten. Der Name war ein Begriff und so war mein erstes Büro leicht zu finden. Von diesen Räumen hatte man einen guten Ausblick auf die Geschäftsstraße und die damals meist kaputten Dächer der Altstadt.

Es muss etwa Sommer 1991 oder 1992 gewesen sein, als ich zwischen zwei Beurkundungen so am Fenster stand, um Luft zu schnappen. Von oben sah ich eine große Limousine einparken, der zwei Männer entstiegen.
Der eine von beiden ganz der honorige Kaufmann, der andere machte mehr den Eindruck, als wolle er gleich anpacken. Sie gingen in Richtung meines Hauseingangs und 42 Stufen. Später hatten sie nach Luft schnappend mein Vorzimmer erreicht.
Wie mir meine Mitarbeiterin berichtete, ging es um einen Erbschein und weil alle auf schnelle Erledigung bedacht waren, gelang es uns, die Mandanten auch ohne Terminvereinbarung unterzubringen.

Etwas später saß er dann vor mir, der ehrenwerte Kaufmann im dunklen Zwirn, mit grauen Schläfen in Begleitung seines Neffen. Ein Erbschein sollte beantragt werden aufgrund testamentarischer Erbfolge. Ich sollte mich nicht wundern, weil alles schon so lange her sei. Eigentlich ginge es nur um den Familienfrieden.
Seine alte Tante sei Ende der 30er Jahre in Stendal kinderlos verstorben. Sie hätte ein schönes Ölbild hinterlassen, über das nun Streit bestehe. Deshalb wollte der Grandsenieur, wenn auch spät, endlich Klärung herbeiführen.
Ein handgeschriebenes Testament wurde entfaltet und mit alter deutscher Schreibschrift war zu entziffern, dass mein Antragsteller Alleinerbe sein sollte.

Der Erbscheinsantrag wurde beurkundet, die eidesstattliche Versicherung der Richtigkeit erklärt und die Sache war bis auf die Kosten erledigt. Natürlich wolle er gleich bezahlen, aber es sei ja alles fast nichts wert. Ein Satz, den jeder Notar wohl schon zur Genüge vernommen hat, wenn es um das Geld geht. Schließlich wurde ein Wert von 3.000,00 DM für das Bild angenommen, die Rechnung geschrieben und prompt bezahlt.

Der Erbscheinsantrag landete bei Gericht und wurde irgendwann antragsgemäß beschieden.

Nur ich war irgendwie mit der Sache noch nicht im Reinen. Zu oft hatte ich seit der Wiedervereinigung schon mit smarten Geschäftsleuten zu tun gehabt, die nur das Beste wollte – für sich natürlich. Sollte also auch hier noch etwas anderes dahinter stecken?
Wir prüften also eben mal an Hand der Grundakten, ob die Verstorbene ein Grundstück hatte und wir wurden fündig. Schon weit vor der Inflation der 20er Jahre war ein Grundstück auf die Erblasserin eingetragen worden.
Bei einer Fahrt durch die angegebene Straße war da auch noch ein Haus zu finden. Ich schrieb meinem Antragsteller sodann einen netten Brief, beglückwünschte ihn zu dem überraschenden Nachlass und korrigierte meine Rechnung aufgrund einer Schätzung. Es wurde anstandslos gezahlt.

Fast hatte ich die Geschichte schon vergessen, als ein Telefonanruf eines sächsischen Kriminalbeamten einging, der mich zu dem Vorgang befragen wollte. Die notarielle Verschwiegenheitspflicht schützt auch den vermeintlichen Straftäter.
Zu einer Aussage kam es nicht. Dafür berichtete die Presse einige Monate später über einen Betrüger, der fast 40 Mal mit dieser Masche und gefälschten Testamenten sich herrenlose Grundstücke an den verschiedensten Standorten der Neuen Bundesländer angeeignet hatte.

Woher stammten die Informationen über verstorbene Eigentümer und herrenlose Grundstücke?
Was haben diese Informationen gekostet?

 Aus heutiger Sicht kann man sagen, war der vermeintliche Kaufmann einfach ungeschickt.

Mit mehr Cleverness und sicherem Auftreten hätte er es auch wie ein anderer Betrüger geschafft, lediglich mit einem Mietwagen der S-Klasse von einer Bank eine Million DM für eine vermeintliche Investition ohne Sicherheit sogar in bar abzuholen. Vielleicht wäre es sogar gelungen, von der Treuhand für nur 1,00 DM ein ganzes Unternehmen mit mehreren Millionen DM liquiden Mitteln zu kaufen, einzig mit der heimlichen Geschäftsidee, die Konten zu leeren und Konkurs anzumelden.

Aber das sind schon wieder neue Geschichten …

(Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder Veröffentlichung nur mit Zustimmung des Inhabers der Homepage)


Share by: